Schweizerisches Nationalmuseum (Hrsg.): Arbeit / Le travail

Cover
Titel
Arbeit / Le travail. Fotografien aus der Schweiz 1860 – 2015 / Photographies provenant de Suisse 1860 – 2015
Weitere Titelangaben
Mit Texten von Ricabeth Steiger, Dario Donati, Markus Schürpf, Fabian Müller, Daniel Strassberg, Max Küng, Daniela Nowakowski


Herausgeber
Schweizerisches Nationalmuseum
Erschienen
Zürich 2015: Limmat Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
von
Aline Minder

Vom 11. September 2015 bis 3. Januar 2016 zeigte das Landesmuseum Zürich Fotografien aus eigenen Sammlungsbeständen, die den arbeitenden Menschen in den Fokus rückten. Die Ausstellung sowie die begleitende Publikation reihen sich in die Bestrebungen des Schweizerischen Nationalmuseums ein, historische Fotografien zu erschliessen, zu dokumentieren und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. So beherbergt der 2016 eröffnete Erweiterungsbau ein Studienzentrum, wo Profis und Laien historisches Fotomaterial einsehen und Recherchen tätigen können.

Der ansprechend gestaltete Bildband in Deutsch und Französisch ist im für seine hervorragenden Fotobücher bekannten Limmat-Verlag erschienen. Die historischen Fotografien, so wird in der Einleitung festgehalten, dienen zugleich als Quelle für die Geschichte der Arbeit wie auch für deren fotografische Dokumentation. Den Anfang des Buches bildet eine unkommentierte, chronologische Abfolge von Fotos zur Entwicklung von Arbeit seit 1845. Darauf folgt ein höchst lesenswerter, prägnanter Abriss der parallelen Geschichten von Arbeit und Fotografie durch den Fotohistoriker Markus Schürpf. Die Sammlungsbestände des Schweizerischen Nationalmuseums, unterteilt in Firmenfotografie, Fotos aus privaten Quellen, Bilder von freien Fotografen, Pressefotografie und Postkarten, machen einen zentralen Teil der Publikation aus. Diesen Abschnitten gehen einleitende Worte voraus, die – wie auch die anderen bildbegleitenden Texte im Buch – Verweise auf nachfolgende Fotografien enthalten (in Form von Fussnotenzeichen). Einen weiteren Schwerpunkt in diesem Buch bilden thematische Vertiefungen, deren Auswahl sich einerseits durch eine Häufung im Quellenmaterial, andererseits durch den zeitgenössischen Blick des Autorenteams ergibt. Auch wenn viele der Fotografien an sich einen hohen Aussagewert haben, sind die reichhaltigen Begleittexte zu den Schwerpunktthemen «Frauen und Männer», «Arbeit in Kriegszeiten», «Ausländische Arbeitskräfte in der Schweiz» sowie «Mensch und Maschine» und insbesondere die aus dem ursprünglichen Publikationszusammenhang (zumeist Reportagen) zitierten Bildlegenden ein Ge winn. Einige Texte im Buch weisen einen anderen als einen geschichtswissenschaftlichen Zugang auf, sei es durch ihre Form oder aufgrund des fachlichen Hintergrunds der Autoren. Beispielsweise richtet der Psychoanalytiker Daniel Strassberg in einem assoziativen Bildessay seinen philosophischen Blick auf ein Medium, das eben nicht nur historisches Dokument ist, sondern auch eine künstlerische Anmutung besitzt. Dieser Perspektivenwechsel ist durchaus originell, wirft aber auch Fragen auf. So sieht Strassberg in einer der Fotografen nicht etwa eine Frau, die konzentriert-selbstbewusst eine Maschine bedient, sondern eine Arbeiterin, die «versonnen [lächelt], als würde sie ihr Kind pflegen» (das Fehlen von Anführungs- und Schlusszeichen in Strassbergs Text lässt den Schluss zu, dass dies tatsächlich die Sicht des Autors und kein Originalzitat von 1945 ist). Damit reduziert er ihre Identität als Frau auf die (potenzielle) Mutterrolle. Dass aber Frauen in Kriegszeiten durchaus selbstbewusst in zuvor männlich dominierte Arbeitsfelder drangen, verdeutlicht Daniela Nowakowski in ihrem nuancierten Artikel zur Geschlechtergeschichte. Mit sich verändernden Arbeitssituationen beschäftigen sich sowohl vier Porträts von Menschen, die aus ihrer beruflichen Biografie erzählen, wie auch ein Gespräch zwischen einer Psychologin und einem Soziologen. Anhand von ausgewählten Fotografien diskutieren sie aus heutiger Perspektive über den Wandel in der Arbeitswelt, wobei manche Leserin und mancher Leser wohl die eine oder andere Situation aus dem eigenen Arbeitsalltag wiedererkennen dürfte. Das Buch schliesst mit einem kolumnistischen Text von Max Küng über die Absurdität der Bezeichnungen von sich immer stärker ausdifferenzierenden Berufen in einer globalisierten Welt.

Positiv fällt die inhaltliche und gestalterische Konzeption auf, die den Fotografien viel Raum lässt. Mit seiner grossen Auswahl an historischem Fotomaterial und den kompakten, abwechslungsreichen Textbeiträgen spricht das Buch eine breite sozialgeschichtlich und Fotografie-interessierte Leserschaft an.

Zitierweise:
Aline Minder: Rezension zu: Schweizerisches Nationalmuseum (Hrsg.): Arbeit / Le travail Fotografien aus der Schweiz 1860 – 2015 / Photographies provenant de Suisse 1860 – 2015. Mit Texten von Ricabeth Steiger, Dario Donati, Markus Schürpf, Fabian Müller, Daniel Strassberg, Max Küng, Daniela Nowakowski. Zürich: Limmat Verlag 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 2, 2017, S. 93-94.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 2, 2017, S. 93-94.

Weitere Informationen